Buchempfehlung: "Der Anschlag" von Stephen King

In unregelmäßiger Folge empfiehlt KopfKino hier andere Bücher oder Filme. Den Anfang macht der Roman "Der Anschlag" von Stephen King.

Well. Ein dickes Buch. Über 1000 Seiten und schwer in der Hand liegend. Ich habe es an diesem Wochenende fertig gelesen, nachdem ich am letzten Wochenende damit begonnen hatte und unter der Woche immer nur zu ein paar Häppchen gekommen bin. Ohne das Ende zu verraten (was in einigen Amazon-Rezensionen leider getan wird), hier die Geschichte in einer ultrakurzen Zusammenfassung.

Jake Eppings, ein 35jähriger Englischlehrer im Jahr 2011, erfährt durch einen Freund von einem Zeitreiseportal ins Jahr 1958. Der Freund steht mit fortgeschrittenem Lungenkrebs wenige Tage vor seinem Tod. Den eigenen Tod so kurz vor Augen bleibt ihm nichts anderes übrig, als den Ich-Erzähler in das Geheimnis des Portals einzuweihen und ihn mit einer Mission zu beauftragen, die er eigentlich selbst ausführen wollte, wäre er gesund. Es geht um die Verhinderung des Kennedy-Attentats am 22.11.1963. Der sterbenskranke Freund hat es selbst versucht, musste den Versuch aber mangels verbleibender Lebenszeit abbrechen. Nun ist es an dem Ich-Erzähler zu versuchen, mithilfe umfangreicher Notizen des Freundes, ins Jahr 1958 zurückzukehren, dort bis 1963 zu leben und das Attentat zu verhindern.

Während er unter anderer Identität dort lebt, verhindert er die in Kindheitstagen erlittenen Verkrüppelungen von zwei anderen Menschen, die ihn zuvor im Jahr 2011 belastet hatten. Hierbei stellt er etwas fest, was man einen der roten Fäden im Buch bezeichnen kann, nämlich dass "die Vergangenheit" sich gegen Veränderungen wehrt (sein Auto springt nicht an und ähnliche Hindernisse). Je bedeutender die von ihm geplante Veränderung wäre, umso heftiger wehrt sich die Vergangenheit. Welche Riesensteine würde sie ihm erst in den Weg legen, wenn es nicht nur darum ginge, den mit einer Verkrüppelung einhergehenden Kindheitsunfall einer "unbedeutenden" Frau zu verhindern, sondern sogar die Weltgeschichte zu verändern, indem Kennedy überlebt und Präsident bleiben kann? Diese Idee, dass die Vergangenheit sich umso heftiger gegen Veränderungen wehrt, je bedeutender die Veränderung wäre, ist das, was den Leser dazu bringt, das Finale kaum abwarten zu können.

Folgende Fragen erzeugten meine Leser-Neugierde: Was wird der Protagonist im Verlaufe seiner Ermittlungen über den Tathergang des Attentats herausfinden? Wird er es schaffen, das Attentat zu verhindern und wenn ja, mit welcher Taktik und mit welchen Konsequenzen? Und drittens: Wie heftig wird sich "die Vergangenheit" gegen diesen Versuch zur Wehr setzen, wenn schon die Verhinderung des Unfalls einer "unbedeutenden Person" so schwer war?

Das sind die Fragen, aus denen die Story ihre Spannung bezieht. Und alle diese Fragen, das war mir klar, werden erst am Ende beantwortet. Bis dahin lebt man zusammen mit dem Protagonisten fünf Jahre lang im Amerika der 50er und 60er Jahre und begleitet ihn dabei, wie er als Lehrer arbeitet, sich unsterblich in eine junge Bibliothekarin verliebt und sich in seiner Freizeit aufmacht, den vermeintlichen Täter Lee Oswald zu beschatten. Und zum Schluß kommt nunmal der finale Showdown, über den ich nichts verraten möchte.

Derzeit gibt es auf Amazon.de über 200 Lesermeinungen mit einer Durchschnittsbewertung von 4,5. Das ist bei so vielen Bewertungen ein sehr guter Wert, finde ich. Alleine über 160 mal die Höchstnote. Und ja, das wundert mich auch nicht, denn mir hat das Buch sehr gut gefallen. Ich habe mit Jake Eppings alias George Amberson, wie er sich in der Vergangenheit nennt, mitgelebt und mitgeliebt. Ich habe heute Nacht die letzten 300 Seiten unbedingt zu Ende lesen wollen, obwohl ich wusste, dass der heutige Tag aus Schlafmangel nicht "schön" sein würde. Und natürlich war ich traurig, nachdem ich die letzte Seite gelesen hatte. Traurig, dass der Lesespaß vorbei war. Wie so oft bei einem guten und unterhaltsamen Buch.

Trotzdem ist da eine gewisse Ambivalenz in meinem Genuss, der mir bereits unter der Woche aufgefallen war. Ich habe das Buch vorwiegend am letzten und an diesem Wochenende gelesen, aber quasi nicht dazwischen. Denn da war das Buch in seinem Mittelteil angelangt. Und dieser Mittelteil zieht sich, ohne dass wirklich etwas passiert. Okay, eine zugegebenermaßen sehr schöne Liebesgeschichte ersetzt den auf Eis liegenden Fortschritt der Attentats-Verhinderung, aber das eigentliche Thema des Romans tritt auf der Stelle. Ich habe mir auf Amazon einige 5-Sterne-Bewertungen durchgelesen und konnte sie unterschreiben. Das Witzige ist: Ich habe mir auch einige 1-Sterne-Bewertungen durchgelesen und konnte sie genauso unterschreiben. Bevor Sie das auch tun, seien Sie gewarnt. In vielen wird das Ende vorweggenommen.

Die wesentlichen Kritikpunkte sind a.) die teilweise flache, aber heroenhafte Zeichnung Eppings, b.) die verharmlosende Zeichnung der texanischen Gesellschaft der 50er und 60er Jahre (King deutet die aggressive Borniertheit nur an und gibt im Nachwort zu, die Wirklichkeit sei schlimmer gewesen) und c.) der relativ ereignislose Mittelteil von ca. 500 Seiten.

Um letzteres schien King nicht herum gekommen zu sein, denn er musste aus Gründen der Spannung sicherstellen, dass Eppings nur einen Versuch hat, das Attentat zu verhindern. Hätte die Mündung des Zeitreiseportals im Jahr 1962 oder 1963 gelegen, dann hätte er es x-mal versuchen und bei einem Scheitern es erneut versuchen können. Aber die Mündung des Portals liegt im Jahr 1958, so dass ihn jeder Versuch reale 5 Jahre seines Lebens kostet. Und diese 5 Jahre musste King irgendwie mit Inhalt füllen. Herausgekommen ist eine wirklich schöne Liebesgeschichte, die in einem ganz leicht moralisch getrübten Bilderbuchamerika stattfindet, die aber für die eigentliche Story nicht von Bedeutung ist. Aber, und das ist das Positive daran, sie lebt. Eine reine Fokussierung auf die blanke Mission hätte es an "Leben drumherum" fehlen lassen. So konnte man als Leser wenigstens sehr ausgiebig selbst in diesen Jahren der Vergangenheit leben. Und man konnte in einem wichtigen Punkt hautnah mit dem Protagonisten mitfühlen, als ihm nämlich irgendwo auf den 900er-Seiten bewusst wird, dass ein zweiter Versuch im Falle des Scheiterns bedeuten würde, das Ganze nochmal von vorne 5 Jahre lang machen zu müssen. Und das ging mir als Leser genauso nach 900 Seiten: Nee, jetzt nicht nochmal alles von vorne...

Ein vierter Kritikpunkt in den Negativbewertungen betraf das Ende. Entweder man nennt es "rasant", oder man spürt die Ungeduld des Autors, endlich fertig werden zu wollen. Beides ist möglich. Und es ist teilweise doch ein wenig dick patriotisch aufgetragen. Well.

Auch wenn ich diese Kritikpunkte ebenfalls unterschreiben kann, hat mir das Buch trotzdem gefallen. Schade, dass es jetzt zu Ende ist und ich ins Hier und Jetzt zurückkehren muss, ohne bei Jake und Sadie zu sein. Und dieses Gefühl, die Traurigkeit, dass es zu Ende ist, zeichnet trotz aller berechtigten Kritiken ein Buch aus, das für sein Geld auch seinen Job gemacht hat: Unterhalten!

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